Das Velo als politisches Vehikel
Es ist wieder soweit, es ist Velo-Zeit! Die Temperaturen steigen und die Sonne scheint immer länger, perfekt für eine Fahrt auf dem Zweirad. Oder auch mal mit dem Fahrrad zur Arbeit, statt mit dem Auto?
Nicht immer dreht sich aber nur Idyllisches um das Thema Velo, gab es doch schon so manch politische Bewegung die auf das Zweirad gesetzt hat.
Feministische Bewegung
Der Ruf des Fahrrads als Katalysator sozialen Wandels rührt auch von seiner Bedeutung in der Frauenbewegung des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts her. Das Velo mit dem dreieckigen Rahmen, wie wir es heute kennen, hatte zunächst viele Feinde: Priester verschrien es in ihrer Predigt als teuflisch, Wirtschaftsanalysten fürchteten, es werde die Arbeitsleistung schmälern, gar die Barber protestierten, weil niemand mehr Zeit für eine Rasur finden werde.
Den Frauen hingegen bot das Fahrrad eine neue Unabhängigkeit, räumte mit dem Mythos ihrer körperlichen Schwäche auf und befreite sie vor allem auch von modischen Zwängen: Die viktorianische Kleidung mit ihren starren Corsagen und Reifröcken eignete sich nicht zum Velofahren. Die in den Augen der damaligen Männer so «aufmüpfigen» Frauen besorgten sich Hosen, die zusammen mit dem Fahrrad zum Symbol der Emanzipation wurden.
In einigen Regimes gerade in Asien und im Nahen Osten wird mit dem Velo noch heute um Frauenrechte gekämpft. 2016 erliess der oberste Führer Ali Khamenei im Iran eine Art Fatwa gegen das öffentliche Velofahren von Frauen. In der darauf entstandenen Social-Media-Kampagne unter dem Hashtag #IranWomenLoveCycling entdeckten die iranischen Frauen, wie sie der politischen Gewalt gemeinsam entgegentreten können – etwas, das im September 2022 nach dem Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam wieder grosse Bedeutung erlangte.
(Quelle: Tages-Anzeiger, Juli 2023)
Tiananmen-Proteste
Ein Bild aus diesen Junitagen 1989 wurde zum Protestsymbol: Ein Mann steht neben dem Tiananmen-Platz in Peking, vor ihm vier Panzer. Eine Szene, die unausweichliche Gewalt symbolisiert – tatsächlich aber gaben die von den Entwicklungen in der Sowjetunion inspirierten Demonstranten nach exakt 50 Tagen des Protests nach und räumten den Platz ohne grösseren Widerstand. In der übrigen Stadt jedoch ging das chinesische Militär mit Gewalt gegen weitere Aufständische vor, Soldaten schossen sich ihren Weg frei, Panzer brachen durch, Hunderte kamen ums Leben. Das Symbol zwischen studentischem Aufstand und der Kraft der Obrigkeit: das Fahrrad.
Die Velos – darunter vor allem dreirädrige Lastenmodelle – waren für die Tiananmen-Besetzer schon in den Wochen vor der Konfrontation unverzichtbar: als Transportmittel, zum Spannen der mit Parolen bemalten Planen, als kleine Kioske, als Liegen für vom Hungerstreik Geschwächte, als Verkehrsmittel neben dem zum Erliegen gebrachten ÖV.
Als am Abend des 3. Juni die Panzer anrückten, stellten ihnen die Protestierenden Barrikaden aus Fahrrädern in den Weg. Zu Hunderten blieben die Räder nach der Räumung der Demonstration auf dem Tiananmen-Platz zurück, von Panzern wurden sie zu Schrott gefahren, als «öffentlichkeitswirksames Metallgrab», wie Jody Rosen schreibt. (Quelle: Tages-Anzeiger, Juli 2023)
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Literatur zum Thema:
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Der amerikanische Journalist und Velokurier Jody Rosen hat eine Kulturgeschichte des Fahrrads geschrieben. Seine essayhafte Geschichtsabhandlung «Two Wheels Good» (auf Deutsch: «Zwei Reifen, eine Welt») erfasst das Velo als politisches Vehikel, als Katalysator sozialen Wandels. (Quelle: Tages-Anzeiger, Juli 2023)
Eine einzigartige Liebeserklärung an das Fahrrad: Der Fahrradkurier und Journalist Jody Rosen erzählt mitreissend, klug und charmant von Geschichte und Gegenwart eines genialen Fortbewegungsmittels, das die Welt verändert hat. Eigentlich müsste ein Fortbewegungsmittel aus dem 19. Jahrhundert in unserer Welt mit ihren Smartphones, Ubers und selbstfahrenden Autos hoffnungslos veraltet sein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wir leben auf einem Fahrrad-Planeten! Das Fahrrad ist heute das meistgenutzte Transportmittel weltweit. Jody Rosen erzählt kenntnisreich und mitreissend von aristokratischen Jungspunden auf Drahteseln, von Frauen, denen das Fahrradfahren per Gesetz verboten wurde, weil sie ihren Männern davonfuhren, von Fahrradfriedhöfen bis hin zu den BLM-Protesten. Eine unvergessliche Lektüre und ein einzigartiges Geschenk! (Quelle: orellfuessli.ch)
Vor mehr als einem Jahrhundert nahm das Fahrrad in unseren Städten die Hauptrolle ein. Heute kommt es zurück, stärker als je zuvor. Das Fahrrad ist das wichtigste Mittel, um unsere Städte lebenswert zu machen und sie am menschlichen Mass auszurichten. Es ist an der Zeit, das Fahrrad jetzt für immer in unseren Städten zu verankern.
Der Autor Mikael Colville-Andersen war weltweit für Dutzende Städte tätig – als Stratege, Planer, Berater für gute Radinfrastruktur und Kommunikationsexperte. Er ist bekannt als inspirierende Persönlichkeit und für seinen Enthusiasmus, mit dem er die Rolle des Fahrrads als Schlüssel für menschengerechte Städte propagiert.
Mit seinem begeisternden Buch Copenhagenize legt er dar, wie Städte das Fahrrad wieder dauerhaft zum Nutzen der Menschen zurückbringen und als respektiertes, akzeptiertes und praktisches Verkehrsmittel etablieren können. Copenhagenize zeigt anhand von Best Practice-Beispielen, motivierenden Geschichten und einer verständlichen Toolbox eindrucksvoll, wie das Fahrrad (wieder) ein einfacher, ganz selbstverständlicher Teil unserer Alltagsmobilität werden kann. (Quelle: orellfuessli.ch)
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